Christof Kurzmann: Sanfte Stimme, harte Haltung
24. November 2014, 17:18
Der Wiener Freistil-Musiker hält Rückschau
Wien - In den frühen 1990er-Jahren bildete der Wiener Musiker Christof Kurzmann gemeinsam mit dem dank seiner Mitgliedschaft in der Punkband Extrem einen legendären Ruf genießenden Helmut Heiland (Vorheilen ist besser als beugen, 1982) das Duo Extended Versions. Kurzmann und Heiland kombinierten damals politische Haltung im Sinne ihres Vorbildes, des britischen Songwriters Robert Wyatt(Shipbuilding), mit elektronischer Urzeit-Repetition aus einer Drumbox sowie harmonischem Minimalismus, testeronbereinigtem Rock und Improvisationseinsprengseln aus Freistil und Jazz ohne allzu häufige Akkordwechsel.
Sanfter Gesang verkaufte so Sturschädeltum kombiniert mit Melancholie. Trotz allen Getöses herrschte im Kern der Musik der Extended Versions eine heilige, Kraft gebende Ruhe. Ihr lange vergriffenes, 1990 ursprünglich im Eigenverlag erschienenes Album Same wurde jetzt beim Wiener Label Trost wiederveröffentlicht.
Wegen ihrer Haltung als Bundesheer wie Zivildienst ablehnende Totalverweigerer war damals eine internationale Karriere aufgrund von Meldegesetz und Passproblemen unmöglich. Später begann Kurzmann als Saxofonist und früher Laptop-Musiker, sich in Bands wie dem Orchester 33 1/3 oder shabotinski zunehmend der freien Improvisation und dem guten alten Free Jazz zu nähern.
Er erarbeitete sich in gemeinsamen Arbeiten mit heimischen und internationalen Größen wie Burkhard Stangl, Christian Fennesz, Werner Dafeldecker oder Ken Vandermark, John Butcher und Steve Lacy einen exzellenten Ruf als Improvisationsmusiker. Mittlerweile lebt der 51-jährige Kurzmann in Wien und Buenos Aires. Aktuellere Ensembles, in denen er tätig ist, titeln The Magic I.D. oder El Infierno Musical.
Neben der Wiederveröffentlichung des Extended-Versions-Albums ist jetzt neben einer Seven-Inch-Single gemeinsam mit besagtem Ken Vandermark und Schlagzeuger Martin Brandlmayr von Radian auf Trost auch das DoppelalbumThen & Now erschienen.
Es handelt sich dabei um eine Werkschau. Diese vertraut dabei aber mit Soloarbeiten, Duos und Bandkollaborationen ausschließlich auf bisher unveröffentlichtes Material. Heute präsentiert Kurzmann Then & Now mit Freunden wie Bernhard Fleischmann, Mats Gustafsson oder Helmut Heiland live im Wiener Celeste, 21.00 (Christian Schachinger, DER STANDARD, 25.11.2014)
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Der Elektrophönix live am 25.11 in Wien!
Text: Curt Cuisine | 22.11.2014
Mit einer Doppel-LP, (Live-Präsentation am 25.11 im Wiener Celeste) einer Wiederveröffentlichung und einem Buch feiert Christof Kurzmann etwas verspätet seinen 50. Geburtstag. Eine Annäherung.
»Es hat ein großes Arschloch* leider mal richtig erkannt, dass es eines der wesentlichen Merkmale der Extended Versions ist, dass beim Scheitern am Original etwas total Eigenständiges herauskommt« So steht das da, auf Seite 105 in »theoral no. 8«, einer von Philipp Schmickl herausgegebene Buchserie mit Portraits von zeitgenössischen Improvisatoren und Elektroakustikern (etwa Xavier Charles, Neil Gingrich oder Franz Hautzinger). Ein personalenzyklopädischer Liebesdienst übrigens, der sich durchaus mehr publizistische Aufmerksamkeit verdient, aber wir sind hier beim ›Star‹ der achten Ausgabe von »theoral«, bei Christof Kurzmann. Eulen oder nicht, das ist jetzt die Frage. Oder anders formuliert: Muss man Christof Kurzmann überhaupt noch vorstellen? Oder kennt ihn eh schon wieder niemand mehr?
Die glorreichen Zeiten der Extended Versions, der einstmals spannendsten experimentellen Popband Österreichs, sind jedenfalls lange vorbei. Aber selbst diese einstige ›Berühmtheit‹ relativiert Kurzmann im skug- Interview. »Berühmt ist ein blöder Begriff, bekannt trifft es schon eher. Mit den Extended Versions habe ich vor fünfhundert Leuten gespielt. Als Christof Kurzmann spiele ich vor fünfzig Leuten oder weniger. Aber dafür waren die Extended Version nur in Österreich und vielleicht gerade noch in Deutschland bekannt. Als Christof Kurzmann kann ich in Chicago, Tokyo, Helsinki, Buenos Aires spielen - aber eben nur in kleinem Rahmen.« Das ist keine Untertreibung. Ende August spielte Kurzmann mit der Klarinettistin und Sängerin Isabelle Duthoit ein großartiges Konzert in Wien, das Kurzmanns Qualitäten als hellhöriger, empathischer Meister des Laptops demonstrierte. Ein sensationeller Abend und zugleich das vermutlich exklusivste Konzert, das in diesem Jahr in Österreich gegeben wurde. Kein halbes Dutzend Leute hat den Gig gesehen.
Ein Reissue alleine macht noch keinen Kurzmann
Aber das ist die Welt der Experimentalmusik, der Elektroakustik, der Improvisation. Die Extended Versions waren viel eher Pop. Zwei verschiedene Welten, wie Kurzmann erzählt: »In Wien treffe ich manchmal Leute, die ich lange nicht gesehen habe. Die fragen oft: ›Machst du überhaupt noch Musik?‹ Weil ich eben in einem Feld tätig bin, wo die es nicht mitkriegen.« Seit kurzem gibt es für Popfans eine gute Gelegenheit, wieder etwas von Kurzmann mitzukriegen. Die 1992 erschienene, zweite LP der Extended Versions (»Same«) liegt als Reissue vor (erschienen auf Cien Fuegos bzw. Trost Records) - und das sperrig-unverschmirgelte Impro-Pop-Crossover darauf ist heute noch so hörenswert wie damals.
Dennoch: dieser Reissue alleine bringt uns Kurzmann noch nicht näher. Dafür gibt es aber ohnehin »theoral no. 8«, im Grunde eine 124-seitige O-Ton-Einführung. Dort erfahren wir fast alles, von seiner frühen Politisierung durch seine Eltern, von seinem ersten medialen Ruhm als Totalverweigerer oder von den Wiener Autonomen und ihrer Besetzung der Ägidigasse, wo Kurzmann auf Helmut Heiland traf, mit dem er die Extended Versions gründete. Die übrigens deswegen so hießen, weil die beiden Herren in ihrem anfänglichen Improvisationsenthusiasmus kaum fähig waren, kurze Nummern zu machen. Die ersten gemeinsamen Auftritte im ehemaligen TU-Club dauerten quasi die halbe Nacht, neun Stunden am Stück - trotzdem verlangte das anwesende Publikum nach mehr.
Später gründete Kurzmann das als Spielstätte für Elektroakustik und Experimentalmusik konzipierte Gürtellokal rhiz (aus dem er zwei Jahre später wieder ausstieg), er rief das phonoTAKTIK-Festival ins Leben, bei dem die außergewöhnlichsten Locations mit neuer, experimenteller Musik temporär besetzt und bespielt wurden, und schließlich gründete er des charhizma-Label dessen erste Veröffentlichungen alle binnen kürzester Zeit vergriffen waren. Gut, da waren auch Namen wie Jim O'Rourke, Christian Fennesz oder das Orchester 33 1/3 (Kurzmanns erste Allstarband sozusagen) darunter, trotzdem: Das war alles Elektroakustik und Impro und hat sich trotzdem verkauft! Wir befinden uns allerdings Anfang der 1990er Jahre, in der goldenen Ära der Wiener Elektroakustik, die in gewisser Weise eine Art experimentelles Hintergrundrauschen war, während im Vordergrund die Wiener Elektropopszene rund um Kruder & Dorfmeister, Pulsinger & Tunakam und viele andere internationale Erfolge feierten. Aber diese Geschichte ist hinlänglich bekannt und durchgekaut. Wir wollen uns von dieser Reminiszenz mit dem kecken Seitenhieb davonpirschen, dass sich die Wiener bzw. österreichische Experimentalszene im Gegensatz zur Wiener Elektropopschule bis heute international behaupten kann. Wenn auch nur in der Nische. Aber das gilt nicht nur für Wien, wie Kurzmann bestätigt, der mittlerweile einen Teil des Jahres in Buenos Aires verbringt: »Experimentalmusik ist überall nur eine Nische. Wenn der Keith Rowe oder der Otomo Yoshihide in Brüssel über die Straße geht, drehen sich die Leute auch nicht nach ihnen um.«
Past the Hochkultur
Vor einigen Jahren war das noch anders. »Damals waren wir alle an der Schwelle zur Hochkultur. Heute ist das nicht mehr so«, sagt Kurzmann. Als Ursache fallen ihm viele Gründe ein. Das beginnt bei der Bildung, die für experimentelle Musik (oder wenigstens das spielerische Experimentieren mit Musik) keinen Raum lässt, das geht bei der Aufführungspraxis weiter (»Warum muss es immer eine heilige Galerie sein?«), und da spielt auch der Umgang mit Subventionen hinein: »Du gehst in einen Club, die kriegen keinen Cent und verlangen fünf Euro, du gehst ins Konzerthaus, die kriegen Millionen und du zahlst 30 Euro.« Und natürlich geht es um das Wegbrechen der Auseinandersetzung in den Medien: »Wenn der Christian Fennesz, der wirklich ein großer Künstler ist, eine neue Platte herausbringt, liest man gar nichts darüber. Jemand, der so konzis an einem Werk und einer Sprache arbeitet, dem schuldet man eine Auseinandersetzung.«
Und noch mehr Musik
Was so nicht ganz stimmt. Die Auseinandersetzung gibt es schon, aber ebenso nur in der Nische. Im Internet. Auf Labelseiten und Blogs. Im Nirgendwo. Und vielleicht liegt's ja auch am Überangebot. Viel zu viele Impro- Abende, die eh ganz okay waren, viel zu viele experimentelle Sandkastenversuche, die eher halbgar waren, viel zu viele Soundtüfteleien, die in CD-Form als Laptopkonserven erschienen. Der Markt ist übersättigt. Auch Kurzmann steckt knietief in diesem Veröffentlichungssumpf der Neuen Musik. Kaum überschaubar ist die Zahl der CDs, auf denen er in den letzten Jahren als Teil elektroakustischer Impro- Ensembles mitwirkte. Viele davon klettern kaum über die Einmal- reinhören-ist-okay-Marke, aber das ist in dem Genre generell so. Und es gibt ja auch viele positive Beispiele. Ebenfalls heuer erschienen ist etwa die Platte »Cherchez La Femme« von Made to Break, der Band bestehend aus Saxophonist Ken Vandermark, Christof Kurzmann sowie Devin Hoff und Timothy Daisy an Bass und Schlagzeug. Toll, wie hier superlässig zwischen Freejazz und Elektroakustik geswitcht wird, ohne dass man sich gegenseitig ausbremst.
Auch »theoral no. 8« ist eine CD beigelegt, mit ausgewählten, unveröffentlichten Tracks, meist Duette, etwa mit Mats Gustafsson, Bernhard Fleischmann, Irena Tomazin, Martin Brandlmayr - alles alte Kollegen, Freunde, Mitmusiker. Auch wenn das großteils pure Elektroakustik ist, zeigt sich hier stärker als sonst was für ein großartiger Musiker Kurzmann ist, wie gut sein Händchen für Stimmungen, für Entwicklungen, für das Zusammenspiel generell ist. Es gibt einen guten Grund dafür: »Ich fühle mich am freiesten im Duo oder maximal im Trio, weder die Solonummer noch das Ensemble ist mir so nahe. Denn im Ensemble herrschen andere Gesetze, da ist man eine Erfüllungshilfe für ein hoffentlich interessantes Ganzes.«
Then & now
Am 18. November wird schließlich die Doppel-LP »Then & now« erscheinen, die eigentlich schon voriges Jahr anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages herauskommen hätte sollen, aber gesundheitliche Probleme hatten ein Veto eingelegt. »Then & now« akzentuiert im Gegensatz zur theoral-CD noch stärker den Elektropopper Kurzmann. Die zwei Platten sind eingeteilt in »Then« und »Now«, die Plattenseiten wiederum in Songs und Neue Musik. »Der Titel zeigt an, dass es bei mir beides gibt, und zwar damals wie heute. Dass sich das durchzieht.« Mit einer kleinen Pause allerdings. »Ich habe ein paar Jahre nicht gesungen - das war die direkte Reaktion auf den Fall der Mauer, den Wegfall des Ostens, der mir als Osten nicht wichtig war, sondern als Gegengewicht zum Kapitalismus. Das hat mir die Sprache verschlagen. Ich wusste nicht mehr, worüber ich singen soll. Nur langsam habe ich das wieder gefunden - und zwar, das ist wesentlich, über die Experimentalmusik.« So kam der Song zurück in die Experimentalmusik. Durch »gute Texte von guter Musik « ebenso, wie auch durch die Rekontextualisierung von eher schlechten Texten: »Ich habe z. B. ›Abschied ist ein scharfes Schwert‹ von Roger Whittaker gemeinsam mit Kai Fagaschinski gespielt. Ein toller Text, unglaublich bescheuert, aber im Kontext der Experimentalmusik kommt da etwas völlig Neues heraus. « Diese Rekontextualisierung wurde nicht immer gut aufgenommen in der Szene. »Mittlerweile aber schon«, erwidert Kurzmann, »es bewegen sich immer mehr Leute in die Richtung. Da habe ich, gemeinsam mit Burkhard Stangl (unter dem Bandnamen Schnee), Pionierarbeit geleistet. Natürlich gibt's immer noch Puristen, die das anfeinden, aber es gibt auch Puristen, die gegen den Einsatz der Elektronik sind. Mittlerweile gibt es viele Projekte in diese Richtung.«
Der Elektrophönix
Viele Projekte dokumentiert auch »Then & now«. Wir lesen Namen wie Robert Wyatt, Margareth Kammerer, Werner Dafeldecker, Martin Siewert, Bernhard Fleischmann, Clayton Thomas, Martin Brandlmayr, Kai Fagaschinski, John Butcher, Mats Gustafsson etc. Zumeist stehen Duos und Trios im Vordergrund (auch Gesangsduos, etwa mit Sofia Jernberg), was ein sehr intimes, stimmiges Hörerlebnis garantiert, dennoch sind die Songseiten insgesamt eine Spur spannender. Ein etwas fragiler gewordener, musikalisch aber mehr geerdeter Kurzmann ist hier zu hören, der zugleich altbekannt und neu klingt. Die Extended Versions upgegradet auf zeitgenössische Elektroakustik, wenn man so will. Bei manchen Stücken scheint wirklich der Popphönix aus der experimentellen Asche zu steigen. Endlich wieder eine Platte, die die Türen ganz weit aufstößt, die das Genre wieder attraktiver macht, möchte man jubeln. »Nein«, widerspricht Kurzmann. »Es geht nicht um eine Kommerzialisierung! Das höre ich immer mit, wenn wer von öffnen, vom Aufmachen spricht. Ich mache das nur, weil ich das für mich will, weil ich gemerkt habe, dass mir das Singen von Songs doch sehr fehlt.« (Apropos Songs: An manchen Stellen klingt Kurzmann mittlerweile wie Lou Reed - ... oh, ach so, gar nicht mittlerweile: »Das haben mir schon viele Leute gesagt. Mit ›The Year Of‹, habe ich ihn sogar bewusst nachgemacht. Den Lou Reed kann ich schon machen, wenn ich will.«)
Jedenfalls: »Then & now« macht wie kaum ein Album in den letzten Jahren Lust darauf, in spannende, stimmige, überzeugende Experimentalmusik hineinzuhören. Es wird sich trotzdem wohl nur bescheiden verkaufen, in der Nische bleiben. »Mehr will ich auch nicht. Es interessiert mich nicht, Musik für tausende Leute zu machen. Also, tausend Leute zu erreichen würde mich schon interessieren, nur eben nicht durch Anbiederung. Am liebsten würde ich zu dem Punkt kommen, wo man das nicht mehr auseinanderdividieren kann: Pop und Experiment.« Mit »Then & now« ist Kurzmann ziemlich nah dran an diesem Ideal.
* Das Arschloch hat im Originalzitat übrigens auch einen Namen, aber da ich diesen Text nicht mit diesem Namen beginnen wollte, habe ich ihn kurzerhand entfernt. Wer wissen will, wer das Arschloch ist ... schlage nach in »theoral no. 8«
»album präsentation christof kurzmann "then & now"«
Die glorreichen Zeiten der Extended Versions, der einstmals spannendsten experimentellen Popband Österreichs, sind jedenfalls lange vorbei. Aber selbst diese einstige ›Berühmtheit‹ relativiert Kurzmann im skug- Interview. »Berühmt ist ein blöder Begriff, bekannt trifft es schon eher. Mit den Extended Versions habe ich vor fünfhundert Leuten gespielt. Als Christof Kurzmann spiele ich vor fünfzig Leuten oder weniger. Aber dafür waren die Extended Version nur in Österreich und vielleicht gerade noch in Deutschland bekannt. Als Christof Kurzmann kann ich in Chicago, Tokyo, Helsinki, Buenos Aires spielen - aber eben nur in kleinem Rahmen.« Das ist keine Untertreibung. Ende August spielte Kurzmann mit der Klarinettistin und Sängerin Isabelle Duthoit ein großartiges Konzert in Wien, das Kurzmanns Qualitäten als hellhöriger, empathischer Meister des Laptops demonstrierte. Ein sensationeller Abend und zugleich das vermutlich exklusivste Konzert, das in diesem Jahr in Österreich gegeben wurde. Kein halbes Dutzend Leute hat den Gig gesehen.
Ein Reissue alleine macht noch keinen Kurzmann
Aber das ist die Welt der Experimentalmusik, der Elektroakustik, der Improvisation. Die Extended Versions waren viel eher Pop. Zwei verschiedene Welten, wie Kurzmann erzählt: »In Wien treffe ich manchmal Leute, die ich lange nicht gesehen habe. Die fragen oft: ›Machst du überhaupt noch Musik?‹ Weil ich eben in einem Feld tätig bin, wo die es nicht mitkriegen.« Seit kurzem gibt es für Popfans eine gute Gelegenheit, wieder etwas von Kurzmann mitzukriegen. Die 1992 erschienene, zweite LP der Extended Versions (»Same«) liegt als Reissue vor (erschienen auf Cien Fuegos bzw. Trost Records) - und das sperrig-unverschmirgelte Impro-Pop-Crossover darauf ist heute noch so hörenswert wie damals.
Dennoch: dieser Reissue alleine bringt uns Kurzmann noch nicht näher. Dafür gibt es aber ohnehin »theoral no. 8«, im Grunde eine 124-seitige O-Ton-Einführung. Dort erfahren wir fast alles, von seiner frühen Politisierung durch seine Eltern, von seinem ersten medialen Ruhm als Totalverweigerer oder von den Wiener Autonomen und ihrer Besetzung der Ägidigasse, wo Kurzmann auf Helmut Heiland traf, mit dem er die Extended Versions gründete. Die übrigens deswegen so hießen, weil die beiden Herren in ihrem anfänglichen Improvisationsenthusiasmus kaum fähig waren, kurze Nummern zu machen. Die ersten gemeinsamen Auftritte im ehemaligen TU-Club dauerten quasi die halbe Nacht, neun Stunden am Stück - trotzdem verlangte das anwesende Publikum nach mehr.
Später gründete Kurzmann das als Spielstätte für Elektroakustik und Experimentalmusik konzipierte Gürtellokal rhiz (aus dem er zwei Jahre später wieder ausstieg), er rief das phonoTAKTIK-Festival ins Leben, bei dem die außergewöhnlichsten Locations mit neuer, experimenteller Musik temporär besetzt und bespielt wurden, und schließlich gründete er des charhizma-Label dessen erste Veröffentlichungen alle binnen kürzester Zeit vergriffen waren. Gut, da waren auch Namen wie Jim O'Rourke, Christian Fennesz oder das Orchester 33 1/3 (Kurzmanns erste Allstarband sozusagen) darunter, trotzdem: Das war alles Elektroakustik und Impro und hat sich trotzdem verkauft! Wir befinden uns allerdings Anfang der 1990er Jahre, in der goldenen Ära der Wiener Elektroakustik, die in gewisser Weise eine Art experimentelles Hintergrundrauschen war, während im Vordergrund die Wiener Elektropopszene rund um Kruder & Dorfmeister, Pulsinger & Tunakam und viele andere internationale Erfolge feierten. Aber diese Geschichte ist hinlänglich bekannt und durchgekaut. Wir wollen uns von dieser Reminiszenz mit dem kecken Seitenhieb davonpirschen, dass sich die Wiener bzw. österreichische Experimentalszene im Gegensatz zur Wiener Elektropopschule bis heute international behaupten kann. Wenn auch nur in der Nische. Aber das gilt nicht nur für Wien, wie Kurzmann bestätigt, der mittlerweile einen Teil des Jahres in Buenos Aires verbringt: »Experimentalmusik ist überall nur eine Nische. Wenn der Keith Rowe oder der Otomo Yoshihide in Brüssel über die Straße geht, drehen sich die Leute auch nicht nach ihnen um.«
Past the Hochkultur
Vor einigen Jahren war das noch anders. »Damals waren wir alle an der Schwelle zur Hochkultur. Heute ist das nicht mehr so«, sagt Kurzmann. Als Ursache fallen ihm viele Gründe ein. Das beginnt bei der Bildung, die für experimentelle Musik (oder wenigstens das spielerische Experimentieren mit Musik) keinen Raum lässt, das geht bei der Aufführungspraxis weiter (»Warum muss es immer eine heilige Galerie sein?«), und da spielt auch der Umgang mit Subventionen hinein: »Du gehst in einen Club, die kriegen keinen Cent und verlangen fünf Euro, du gehst ins Konzerthaus, die kriegen Millionen und du zahlst 30 Euro.« Und natürlich geht es um das Wegbrechen der Auseinandersetzung in den Medien: »Wenn der Christian Fennesz, der wirklich ein großer Künstler ist, eine neue Platte herausbringt, liest man gar nichts darüber. Jemand, der so konzis an einem Werk und einer Sprache arbeitet, dem schuldet man eine Auseinandersetzung.«
Und noch mehr Musik
Was so nicht ganz stimmt. Die Auseinandersetzung gibt es schon, aber ebenso nur in der Nische. Im Internet. Auf Labelseiten und Blogs. Im Nirgendwo. Und vielleicht liegt's ja auch am Überangebot. Viel zu viele Impro- Abende, die eh ganz okay waren, viel zu viele experimentelle Sandkastenversuche, die eher halbgar waren, viel zu viele Soundtüfteleien, die in CD-Form als Laptopkonserven erschienen. Der Markt ist übersättigt. Auch Kurzmann steckt knietief in diesem Veröffentlichungssumpf der Neuen Musik. Kaum überschaubar ist die Zahl der CDs, auf denen er in den letzten Jahren als Teil elektroakustischer Impro- Ensembles mitwirkte. Viele davon klettern kaum über die Einmal- reinhören-ist-okay-Marke, aber das ist in dem Genre generell so. Und es gibt ja auch viele positive Beispiele. Ebenfalls heuer erschienen ist etwa die Platte »Cherchez La Femme« von Made to Break, der Band bestehend aus Saxophonist Ken Vandermark, Christof Kurzmann sowie Devin Hoff und Timothy Daisy an Bass und Schlagzeug. Toll, wie hier superlässig zwischen Freejazz und Elektroakustik geswitcht wird, ohne dass man sich gegenseitig ausbremst.
Auch »theoral no. 8« ist eine CD beigelegt, mit ausgewählten, unveröffentlichten Tracks, meist Duette, etwa mit Mats Gustafsson, Bernhard Fleischmann, Irena Tomazin, Martin Brandlmayr - alles alte Kollegen, Freunde, Mitmusiker. Auch wenn das großteils pure Elektroakustik ist, zeigt sich hier stärker als sonst was für ein großartiger Musiker Kurzmann ist, wie gut sein Händchen für Stimmungen, für Entwicklungen, für das Zusammenspiel generell ist. Es gibt einen guten Grund dafür: »Ich fühle mich am freiesten im Duo oder maximal im Trio, weder die Solonummer noch das Ensemble ist mir so nahe. Denn im Ensemble herrschen andere Gesetze, da ist man eine Erfüllungshilfe für ein hoffentlich interessantes Ganzes.«
Then & now
Am 18. November wird schließlich die Doppel-LP »Then & now« erscheinen, die eigentlich schon voriges Jahr anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages herauskommen hätte sollen, aber gesundheitliche Probleme hatten ein Veto eingelegt. »Then & now« akzentuiert im Gegensatz zur theoral-CD noch stärker den Elektropopper Kurzmann. Die zwei Platten sind eingeteilt in »Then« und »Now«, die Plattenseiten wiederum in Songs und Neue Musik. »Der Titel zeigt an, dass es bei mir beides gibt, und zwar damals wie heute. Dass sich das durchzieht.« Mit einer kleinen Pause allerdings. »Ich habe ein paar Jahre nicht gesungen - das war die direkte Reaktion auf den Fall der Mauer, den Wegfall des Ostens, der mir als Osten nicht wichtig war, sondern als Gegengewicht zum Kapitalismus. Das hat mir die Sprache verschlagen. Ich wusste nicht mehr, worüber ich singen soll. Nur langsam habe ich das wieder gefunden - und zwar, das ist wesentlich, über die Experimentalmusik.« So kam der Song zurück in die Experimentalmusik. Durch »gute Texte von guter Musik « ebenso, wie auch durch die Rekontextualisierung von eher schlechten Texten: »Ich habe z. B. ›Abschied ist ein scharfes Schwert‹ von Roger Whittaker gemeinsam mit Kai Fagaschinski gespielt. Ein toller Text, unglaublich bescheuert, aber im Kontext der Experimentalmusik kommt da etwas völlig Neues heraus. « Diese Rekontextualisierung wurde nicht immer gut aufgenommen in der Szene. »Mittlerweile aber schon«, erwidert Kurzmann, »es bewegen sich immer mehr Leute in die Richtung. Da habe ich, gemeinsam mit Burkhard Stangl (unter dem Bandnamen Schnee), Pionierarbeit geleistet. Natürlich gibt's immer noch Puristen, die das anfeinden, aber es gibt auch Puristen, die gegen den Einsatz der Elektronik sind. Mittlerweile gibt es viele Projekte in diese Richtung.«
Der Elektrophönix
Viele Projekte dokumentiert auch »Then & now«. Wir lesen Namen wie Robert Wyatt, Margareth Kammerer, Werner Dafeldecker, Martin Siewert, Bernhard Fleischmann, Clayton Thomas, Martin Brandlmayr, Kai Fagaschinski, John Butcher, Mats Gustafsson etc. Zumeist stehen Duos und Trios im Vordergrund (auch Gesangsduos, etwa mit Sofia Jernberg), was ein sehr intimes, stimmiges Hörerlebnis garantiert, dennoch sind die Songseiten insgesamt eine Spur spannender. Ein etwas fragiler gewordener, musikalisch aber mehr geerdeter Kurzmann ist hier zu hören, der zugleich altbekannt und neu klingt. Die Extended Versions upgegradet auf zeitgenössische Elektroakustik, wenn man so will. Bei manchen Stücken scheint wirklich der Popphönix aus der experimentellen Asche zu steigen. Endlich wieder eine Platte, die die Türen ganz weit aufstößt, die das Genre wieder attraktiver macht, möchte man jubeln. »Nein«, widerspricht Kurzmann. »Es geht nicht um eine Kommerzialisierung! Das höre ich immer mit, wenn wer von öffnen, vom Aufmachen spricht. Ich mache das nur, weil ich das für mich will, weil ich gemerkt habe, dass mir das Singen von Songs doch sehr fehlt.« (Apropos Songs: An manchen Stellen klingt Kurzmann mittlerweile wie Lou Reed - ... oh, ach so, gar nicht mittlerweile: »Das haben mir schon viele Leute gesagt. Mit ›The Year Of‹, habe ich ihn sogar bewusst nachgemacht. Den Lou Reed kann ich schon machen, wenn ich will.«)
Jedenfalls: »Then & now« macht wie kaum ein Album in den letzten Jahren Lust darauf, in spannende, stimmige, überzeugende Experimentalmusik hineinzuhören. Es wird sich trotzdem wohl nur bescheiden verkaufen, in der Nische bleiben. »Mehr will ich auch nicht. Es interessiert mich nicht, Musik für tausende Leute zu machen. Also, tausend Leute zu erreichen würde mich schon interessieren, nur eben nicht durch Anbiederung. Am liebsten würde ich zu dem Punkt kommen, wo man das nicht mehr auseinanderdividieren kann: Pop und Experiment.« Mit »Then & now« ist Kurzmann ziemlich nah dran an diesem Ideal.
* Das Arschloch hat im Originalzitat übrigens auch einen Namen, aber da ich diesen Text nicht mit diesem Namen beginnen wollte, habe ich ihn kurzerhand entfernt. Wer wissen will, wer das Arschloch ist ... schlage nach in »theoral no. 8«
»album präsentation christof kurzmann "then & now"«
Tue 25.11.2014 21:00
Text: Curt Cuisine | 22.11.2014
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CHRISTOF KURZMANN - "Then & Now"
CHRISTOF KURZMANN, seines Zeichens einer der innovativsten Musikköpfe Österreichs und zugleich Pionier experimenteller Elektronik, veröffentlichte dieser Tage mit "Then & Now" (Trost Records) ein Album, auf dem sich der Wiener nach längerer Zeit wieder von seiner mehr popaffineren Seite präsentiert.
Die musikalische Welt des Christof Kurzmann, der seit vielen Jahren Buenos Aires sein zu Hause nennt, unterlag in der Vergangenheit schon so einigen radikalen Umwälzungen. Sich stilistisch niemals festlegend zeigt sich sein Schaffen rückblickend als eine Art ausgedehnte Tour durch die unterschiedlichsten Formen der Musik. Der gebürtige Wiener begann einst als großer Fan von Archie Shepp und Davis Murray als Saxophonist im Free-Jazz, von wo aus er sich dann aufmachte, sein ganz eigenes musikalisches Universum zu erschaffen. Der eigenwillige Künstler weiß sich in den verschiedensten Kontexten zu bewegen und hält seit je her hörbar wenig davon, sich irgendwelchen Dogmen zu unterwerfen. Er ist jemand, der sich die musikalische Freiheit, genau das tun zu können, wozu er gerade Lust hat, genießt und bis heute bewahrt hat.
Die musikalische Welt des Christof Kurzmann, der seit vielen Jahren Buenos Aires sein zu Hause nennt, unterlag in der Vergangenheit schon so einigen radikalen Umwälzungen. Sich stilistisch niemals festlegend zeigt sich sein Schaffen rückblickend als eine Art ausgedehnte Tour durch die unterschiedlichsten Formen der Musik. Der gebürtige Wiener begann einst als großer Fan von Archie Shepp und Davis Murray als Saxophonist im Free-Jazz, von wo aus er sich dann aufmachte, sein ganz eigenes musikalisches Universum zu erschaffen. Der eigenwillige Künstler weiß sich in den verschiedensten Kontexten zu bewegen und hält seit je her hörbar wenig davon, sich irgendwelchen Dogmen zu unterwerfen. Er ist jemand, der sich die musikalische Freiheit, genau das tun zu können, wozu er gerade Lust hat, genießt und bis heute bewahrt hat.
Intimus und Avantgardist – die zwei Seiten des Christof Kurzmann
Keine Ausnahme bildet diesbezüglich auch "Then & Now". In den Stücke seines neuen Albums, die mit Unterstützung so namhafter Leute Robert Wyatt, Margareth Kammerer, Bernhard Fleischmann, Ken Vandermark und Mats Gustafsson eingespielt worden sind, trifft filigrane, leise und feingliedrige Popmusik auf experimentelle Elektronik, schräge Improvisation und gediegen vielschichtigen Jazz. Worin sich Kurzmann exzellent versteht, ist, stimmungsvolle und sich in die Tiefe entfaltende Akzente zu setzen, eben weil er sich nicht an den herkömmlichen popularmusikalischen Strukturen orientiert, sondern bewusst von diesen abgeht. Spannende klangliche Kontrapunkte zu den eher gefühlvolleren und intimeren Nummern setzt der Saxophonist und Elektroniker mit Stücken, oder besser gesagt avantgardistischen Soundexperimenten, die im Rahmen von diversen Festivals (u.a. musikprotokoll) entstanden sind.
"Then & Now" ist ein Album geworden, das definitiv darauf abzielt, dass man sich damit beschäftigt. Denn wie man es von Kurzmann gewohnt ist, will er mit seiner Musik auch fordern. Aber genau dieser Aspekt macht auch den Reiz seiner Musik aus.
Live vorstellen wird Christof Kurzmann „Then & Now“ am 25. November im Celeste in Wien.
Michael Ternai
Keine Ausnahme bildet diesbezüglich auch "Then & Now". In den Stücke seines neuen Albums, die mit Unterstützung so namhafter Leute Robert Wyatt, Margareth Kammerer, Bernhard Fleischmann, Ken Vandermark und Mats Gustafsson eingespielt worden sind, trifft filigrane, leise und feingliedrige Popmusik auf experimentelle Elektronik, schräge Improvisation und gediegen vielschichtigen Jazz. Worin sich Kurzmann exzellent versteht, ist, stimmungsvolle und sich in die Tiefe entfaltende Akzente zu setzen, eben weil er sich nicht an den herkömmlichen popularmusikalischen Strukturen orientiert, sondern bewusst von diesen abgeht. Spannende klangliche Kontrapunkte zu den eher gefühlvolleren und intimeren Nummern setzt der Saxophonist und Elektroniker mit Stücken, oder besser gesagt avantgardistischen Soundexperimenten, die im Rahmen von diversen Festivals (u.a. musikprotokoll) entstanden sind.
"Then & Now" ist ein Album geworden, das definitiv darauf abzielt, dass man sich damit beschäftigt. Denn wie man es von Kurzmann gewohnt ist, will er mit seiner Musik auch fordern. Aber genau dieser Aspekt macht auch den Reiz seiner Musik aus.
Live vorstellen wird Christof Kurzmann „Then & Now“ am 25. November im Celeste in Wien.
Michael Ternai
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